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30 Jahre Deutsche Einheit - eine Bilanz

Am 03. Oktober war wieder Tag der Deutschen Einheit. 30 Jahre ist es bereits her, dass sich Zwei zusammengetan haben, um den weiteren Weg gemeinsam zu gehen. Eigentlich eine stolze runde Zahl, und dennoch kein Jahrestag, den man in der Regel groß begeht. Mich erinnert die Deutsche Einheit oft an eine Ehe und da feiert man zum 30. Hochzeitstag schließlich meist auch kein großes Fest. Könnte man die beiden Eheleute fragen, was sie selbst zu ihren gemeinsamen Jahren sagen, käme von diesen vielleicht auch nur ein Schulterzucken und die Frage: Was, ist das alles schon wieder 30 Jahre her?

Ja, man hat sich aneinander gewöhnt und lebt so seine Routine. An den leidenschaftlichen Beginn, das erste Date am 09. November oder die Unsicherheit der Anfangszeit, ob aus dieser Sache etwas für ein ganzes Leben werden könnte, erinnert man sich nur noch selten. Beim Gedanken an das Feuerwerk zur Hochzeit 1990 drängen sich heute immer wieder ungut die Kosten dieser ganzen Unternehmung in den Vordergrund. Als man aber damals auf der Straße stehend in den Himmel blickte, dachten wenige an irgendwelche Kosten. Wir waren glücklich dabei zu sein. Wir waren glücklich, dass dies möglich geworden war. Wir hatten bewiesen, dass Mauern eingerissen und große Weltgeschichte auch mit Frieden und Verträgen geschrieben werden kann.

Oberbürgermeisters Dr. Uwe Kirschstein

Doch leider ist kein Zauber eines Anfangs stark genug, um diesen Widersacher namens Alltag standzuhalten. Ich glaube, die Deutsche Einheit ist wie eine normale Durchschnittsehe, die mit hochfliegenden Träumen und Hoffnungen begann, um dann im Verlauf der Zeit auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Was kann man realistisch von Menschen und deren Beziehungen erwarten? Sicher kein Leben wie in einer Hollywood-Romanze. Wie sinnvoll ist es also, immer wieder über die Trennung von Ost und West zu sprechen, wenn die Trennung zwischen Nord und Süd doch auch nie Thema ist? Wir akzeptieren die Mentalitätsunterschiede zwischen Rheinländern und Bayern, warum dann nicht die zwischen Hamburgern und Sachsen?

Vieles ist bei der Deutschen Wiedervereinigung schief gegangen, weil eben Menschen und keine Künstliche Intelligenz beteiligt waren. Es gab Ungerechtigkeiten, was bis heute schmerzt. Dreißig gemeinsame Jahre sind vielleicht kein Grund für große Feste, aber einer für eine ausgewogene Bestandsaufnahme. Vieles ist uns nämlich auch sehr gut gelungen. Die Verletzungen der Vergangenheit können nicht ungeschehen gemacht werden, aber eine gewisse Heilung erfahren. Dafür braucht es aber die Anerkennung erlittener Demütigungen und Zumutungen. Nach 30 Jahren sollten doch alle reif genug sein, eigene Fehler einzugestehen und dafür einen angemessenen Ausgleich zu schaffen. Keiner war perfekt und für jeden war es das erste Mal. Mit der beginnenden Altersmilde wird es leichter, den anderen mit seiner persönlichen Geschichte so zu akzeptieren, wie er nun mal ist. Freuen wir uns also über das gemeinsam Erreichte, richten wir den Blick auf die Zukunft, von der noch genug übrig ist, und versprechen uns, dass wir als Paar behutsamer und mehr auf Augenhöhe miteinander umgehen wollen.

Ihr
Dr. Uwe Kirschstein
Oberbürgermeister