Doch leider ist kein Zauber eines Anfangs stark genug, um diesen Widersacher namens Alltag standzuhalten. Ich glaube, die Deutsche Einheit ist wie eine normale Durchschnittsehe, die mit hochfliegenden Träumen und Hoffnungen begann, um dann im Verlauf der Zeit auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Was kann man realistisch von Menschen und deren Beziehungen erwarten? Sicher kein Leben wie in einer Hollywood-Romanze. Wie sinnvoll ist es also, immer wieder über die Trennung von Ost und West zu sprechen, wenn die Trennung zwischen Nord und Süd doch auch nie Thema ist? Wir akzeptieren die Mentalitätsunterschiede zwischen Rheinländern und Bayern, warum dann nicht die zwischen Hamburgern und Sachsen?
Vieles ist bei der Deutschen Wiedervereinigung schief gegangen, weil eben Menschen und keine Künstliche Intelligenz beteiligt waren. Es gab Ungerechtigkeiten, was bis heute schmerzt. Dreißig gemeinsame Jahre sind vielleicht kein Grund für große Feste, aber einer für eine ausgewogene Bestandsaufnahme. Vieles ist uns nämlich auch sehr gut gelungen. Die Verletzungen der Vergangenheit können nicht ungeschehen gemacht werden, aber eine gewisse Heilung erfahren. Dafür braucht es aber die Anerkennung erlittener Demütigungen und Zumutungen. Nach 30 Jahren sollten doch alle reif genug sein, eigene Fehler einzugestehen und dafür einen angemessenen Ausgleich zu schaffen. Keiner war perfekt und für jeden war es das erste Mal. Mit der beginnenden Altersmilde wird es leichter, den anderen mit seiner persönlichen Geschichte so zu akzeptieren, wie er nun mal ist. Freuen wir uns also über das gemeinsam Erreichte, richten wir den Blick auf die Zukunft, von der noch genug übrig ist, und versprechen uns, dass wir als Paar behutsamer und mehr auf Augenhöhe miteinander umgehen wollen.
Ihr
Dr. Uwe Kirschstein
Oberbürgermeister